Quelle: MiaSkribo/canva.com

Innovation in der Schreibwarenbranche - hier so, wie es die KI beschreiben würde.

Innovationsinitiative auch im Schreibwarenhandel

Alle Welt spricht von Transformation, Digitalisierung und Wandel: Viele alteingesessene Schreibwarenhändler erleben aber vor allem das Abwandern ihrer Kundschaft ins Internet - und resignieren. Dabei bietet die Situation auch eine Chance, zumal Händler ein großes Pfund haben. Mit Innovationssystemen lassen sich neue Ideen heben.

Ein Füllerprojekt, übernommen von einer Schülerfirma: “Ich stehe voller Leidenschaft hinter dieser Idee”, beschreibt Petra Aprile von der aprileconsuting GmbH, Neu-Inhaberin von Pacato, einem Füller, der aus einer Gewehrpatrone gefertigt wird und mit seinem graviertem Slogan „let words be your bullet“ ein Friedenssymbol sein soll, “aber ich weiß einfach nicht, wie ich es zum Erfolg bringen kann.” Der klassische Ausgangspunkt für ein Design-Thinking-Coaching, wie es Aprile seit einigen Wochen in Anspruch nimmt: Die Zukunft ist ungewiss. Ob eine Idee zur Marktreife gelangt, nachhaltig erfolgreich sein kann, steht in den Sternen.

Im Umfeld sogenannter agiler Methoden spricht man hier von einem komplexen, wenn nicht sogar verhextem Problem: Bei einem komplexen Problem ist klar, dass es gelöst werden kann, aber der Weg dorthin ist unklar. Und bei einem verhexten Problem ist auch unklar, ob das Problem überhaupt gelöst werden kann – und es ist wahrscheinlich, dass mit der Lösung neue, unvorhergesehene Probleme auftauchen.

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Beispiel: E-Roller in den Innenstädten. Hier versuchen verschiedene Firmen ein Mobilitätsproblem zu lösen, das ist ihnen auch teilweise gelungen. Aber dass diese Form der Mobilität neue Probleme verursacht, wurde nicht bedacht, war vielleicht auch nicht vorhersehbar. So machen sich Menschen zum Beispiel einen Scherz daraus, die E-Roller in Köln in den Rhein zu werfen, was zu immensen Umweltproblemen führt. Dieses und viele andere Probleme stellen mittlerweile das grundsätzliche Geschäftsmodell dieser Anbieter infrage.

Und es wird noch schlimmer: “Es liegt in der Natur der Sache, dass Innovation sich mit Neuem beschäftigt. Daher weiß man eben nicht vorher, ob man ein Problem tatsächlich marktrelevant lösen kann”, so Dr. Nils Jeners, Innovationscoach. “Ein Innovation-Prozess zielt darauf ab, aus möglichst vielen Ideen vielleicht die eine herauszufinden, die marktreif werden kann.”

Leerer Laden: Resignation oder Innovation?

Gerade in Branchen, die vor großen Herausforderungen stehen, ist Innovation ein guter Weg. Und die PBS-Branche steht vor immensen Herausforderungen. Der Schreibwaren-Fachhandel dünnt immer mehr aus. So stellt das das IFH Köln zwar bis 2020 einen Marktanteil des Fachhandels von 40 Prozent fest. Allerdings sind es im Vergleich zu 2025 überproportionale 3,1 Prozent weniger. Und auch auf der diesjährigen Ambiente in Frankfurt war wieder überall vom Abgesang des Fachhandels zu hören.

Zusätzlich zeichnet der Verband der PBS-Markenindustrie zuletzt auf seiner Herbsttagung ein düsteres Konjunkturbild: Im September 2023 ging der Umsatz der Mitgliedsfirmen um 5,2 Prozent zurück, sie rechnen für 2024 mit einem “herausforderndem Jahr”. Auch der Handelsverband Wohnen und Büro kann zwar für 2023 ein nominelles Wachstum von 1,6 Prozent aufweisen auf nunmehr 13,3 Milliarden Euro. Allerdings ist auch die Inflation deutlich höher.

Die Ursache – neben der generellen gesamtgesellschaftlichen Situation – ist für manchen Händler schnell ausgemacht: die Konkurrenz durch das Internet, insbesondere Amazon. Aber auch die Suche nach Nachfolgern gestaltet sich sehr schwierig. Die Folge scheint eher Resignation zu sein.

“Unternehmen neigen dazu, gerade in schlechten Zeiten Innovation als unnötigen Mehraufwand zu betrachten”, beobachtet Jeners aus der Praxis. “Dabei sollte gerade und allerspätestens in der Krise darüber nachgedacht werden, mit welchen Ideen neue Geschäftsfelder eröffnet werden können.” Oftmals fehlen dazu dann aber schlichtweg die Ressourcen, das Geld.

“Aber das ist genau der Punkt: Viel Geld braucht man für Innovation nicht”, so Jeners, “sondern man kann das durch seine Arbeitskraft kompensieren.” Und er räumt damit gleich mit einem ersten Ansatz auf, der gerne von verschiedenen Agenturen als Lösung für die Händlermisere im stationären Handel präsentiert wird: dem eigenen E-Commerce-Shop für Schreibwaren. “Das Ziel ist es nicht, dass zu machen, was viele andere schon machen”, so Jeners, “sondern etwas Neues zu machen.” Ein neuer Online-Shop ist zudem auch ein recht teures Unterfangen.

Großer Vorteil: starke Kundennähe

Aber der PBS-Fachhandel hat auch einen großen Vorteil gegenüber anderen Branchen: die starke und ständige Nähe zum Kunden. Die absolute Kundenzentrierung ist nämlich das eigentliche Erfolgsrezept von Innovationsprojekten. Im Handel sagt man auch: “Der Kunde ist König.” Dennoch sei auffällig, wie wenig viele Unternehmer und Händler tatsächlich über ihre Kunden wissen, so Jeners: “Gerade im Schreibwarenhandel ist dieses Problem aber recht einfach zu lösen, denn hier gibt es den ständigen Kundenkontakt.”

Wichtig hierbei: Es geht nicht darum, zu verkaufen, sondern zu lernen, also ein echtes Interesse an den tatsächlichen Bedürfnissen der Kunden zu zeigen. Sprich: Es ist nicht relevant, zu erfahren, ob ein Kunde den Füllfederhalter XY gut findet, sondern, warum. “Das tief zugrundeliegende Bedürfnis muss erforscht werden”, so Jeners.

Das geschieht mit Methoden, die zum Beispiel auch im Journalismus verwendet werden: Beobachtung und Interviews. Und daraus werden Impulse generiert, die dann möglichst günstig getestet werden. “Es macht keinen Sinn, aufgrund einer Idee gleich die ganze Inneneinrichtung eines Schreibwarenladens zu verändern”, sagt so auch Jeners in einem begleitenden Podcast zu diesem Artikel (siehe Kasten). “Sondern es ist sinnvoll, das mit Prototypen zu testen.” Sprich: Vielleicht eine kleine Ecke einzurichten oder auch die Ecke nur zu simulieren. Und vor allem: ohne großen Geldeinsatz.

Zum Ablauf: Dazu wird dann zum Beispiel eine Hypothese aufgestellt, wie sich die neue Ecke auf den Verkauf auswirkt und dies wird über einen bestimmten Zeitraum erfasst. “Und dann ehrlich auch verglichen”, so Jeners. Sprich: Neue Ideen sollten nicht aufgrund von Meinungen, sondern von echten Einsichten umgesetzt werden.

Aber die Erhebung von harten Verkaufszahlen ist nur eine von vielen Indikatoren. Mithilfe von Beobachtungen, Interviews und Tests etwa direkt an der Ecke kann herausgefunden werden, wie die Idee ankommt – und vor allem: Wo und warum sie auch überhaupt nicht funktioniert.

Jetzt ist das Arbeiten an der Inneneinrichtung eines Schreibwarengeschäfts noch eine sehr naheliegende Verbesserungsidee, Experten sprechen hier auch von inkrementeller Innovation, bei der es nicht um eine generelle Veränderung des Geschäftsmodells geht, sondern um eine Verbesserung des Bestehenden.

Aber das Feld an Innovation ist unendlich weit und sie besitzt auch das Potenzial, klassische Händler-Geschäftsmodelle zu verlassen oder gar zu zerstören, “disruptiv” wird das auch genannt. “Sich diesen Entwicklungen zu verschließen, ist sicherlich die schlechteste Reaktion darauf”, so Jeners.

In Innovationscoachings wird deshalb versucht, Impulse in neue Gedankenwelten zu eröffnen. Im Fachjargon wird das auch Ideation genannt. Mit einer mehr oder minder willkürlichen Kombination und Konfrontation etwa von technischen und sozialen Trendthemen mit der eigenen Lebenswirklichkeit entstehen neue Ideen. Co-Creation ist zum Beispiel ein Stichwort, Internet of Things, Digitalisierung – es gibt Tausende. “Und es gibt nicht die eine Idee oder den einen richtigen Weg, wie diese Themen genutzt werden, um den eigenen Schreibwarenhandel zu verändern”, so Jeners. “Vermutlich sind viele der entstehenden Ideen auch niemals marktfähig, aber sie setzen Impulse in einem Lernprozess.”

Ein Beispiel aus der Praxis: der Schönschreib-Club von MiaSkribo. Das augenscheinliche Thema sind hier die Handschrift und Schreibgeräte. Aber: Durch Interviews mit Kunden stellte sich heraus, dass es vielen nicht nur um die Schreibgeräte und die Handschrift an sich geht, sondern um einen Austausch mit Gleichgesinnten, also um ein soziales Miteinander. Deshalb wird auf den Clubtreffen auch viel Raum für Austausch eingeräumt und auch eine gleichberechtigte Situation hergestellt – alle sind Clubmitglieder, niemand hat das Sagen.

Eine andere Idee ist hier aus einer wirtschaftlichen Erwägung heraus entstanden: Es gibt keine gebuchten Referenten, sondern die Clubmitglieder machen selbst Impulse am Anfang des Clubtreffens. Das spart einerseits Geld und sorgt zudem für eine noch stärkerer soziale Selbstverpflichtung der Clubmitglieder. Gekostet hat sie außer ein bisschen Arbeitsaufwand und am Anfang kleinerer Investitionen in Instagram-Werbung nichts. Wäre dennoch kein wirklicher Club entstanden, wäre die Idee auch wieder eingestellt oder verändert worden.

Lernen und Scheitern als generelle Einstellung

Denn ein altes Sprichwort sagt: Nichts ist so beständig, wie die Veränderung. Neben der prinzipiellen Unsicherheit in der Branche kommt bei Innovationsprojekten noch hinzu, dass ein Scheitern akzeptiert werden muss. Verschiedene Studien gehen zum Beispiel davon aus, dass 9 von 10 Start-Ups mit ihren Geschäftsmodellen scheitern – einfach, weil die Idee nie zur wirklichen Marktreife gelangt. “Die Kunst ist es nun, zu verhindern, dass man viele Ressourcen in eine Idee investiert, die nicht marktreif werden können”, so Jeners. “Das Scheitern ist also elementarer Bestandteil dieses Projekts.”

Petra Aprile tut sich mit diesem Gedanken schwer: “Ich möchte Pacato unbedingt weiterführen”, sagt sie. Aber sie akzeptiert in dem Coaching zumindest prinzipiell, dass die Einstellung einer Idee auch eine Option sein muss. Vielleicht ergeben sich aus dem Innovationsansatz gute Impulse für eine Weiterführung für das Projekt. Aber auch im Scheitern liegt am Ende ein Gewinn: Im besten Fall wurde dabei viel gelernt für vielleicht eine neue Idee. Im schlechtesten Fall wurden damit “nur” teure Fehlinvestitionen verhindert.

Autor: Jörg Stroisch

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